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Porträts

Bernhard Krauß (1810-1875) – Ein feingebildeter Mann, der mit idealer Begeisterung alle humanen Bestrebungen unterstützte

Den Mann, den wir hier vorstellen, könnte man für viele seiner Aktivitäten besonders würdigen. Wir tun es, wie könnte es anders sein, aus der Sicht der Schule.

Dr. Bernhard Krauß verkörperte für etwa zwei Jahrzehnte in nahezu exemplarischer Weise das liberale Bemühen um eine den Bedürfnissen der Stadt Bensheim angemessene Schul- und Bildungspolitik.

Kindheit und Jugend
Krauß wurde am 9. Januar 1810 in Fürth im Odenwald als Sohn eines katholischen Amtmannes geboren. Er besuchte das Gymnasium in Bensheim und zeichnete sich dort 1825 als „Preisträger der dritten Klasse […] im Griechischen, in der Mathematik und in der Geschichte“ aus. Krauß immatrikulierte sich am 13. November 1828 an der Universität Gießen für das Studium der Medizin. Bis zum Wintersemester 1830/31 studierte er in Gießen, vom Sommersemester 1831 bis einschließlich Sommersemester 1832 in Heidelberg und im Wintersemester 1832/33 erneut in Gießen. Am 6. Juni 1833 schloss er sein Studium mit der Erlangung des medizinischen Doktorgrads ab.
Arzt in Bensheim und Mitgründer des Bensheimer Gewerbevereins
Danach wirkte er in Bensheim als praktischer Arzt, aber auch als Armen- und Hospitalarzt sowie als so genannter Seminararzt am Lehrerseminar. Seit 1843 bis mindestens 1857 war Krauß Mitglied des Bensheimer Ortsschulvorstandes, der in Hessen seit 1832 aus dem Ortspfarrer, dem Bürgermeister und zwei honorigen Bürgern bestand. Der Ortsschulvorstand war ausschließlich für das Volksschulwesen bzw. alle Schulen, die keinen weiterführenden Charakter hatten, zuständig. 1844 gehörte Krauß zu den Gründern des Bensheimer Gewerbevereins. Als Vorsitzender dieses Vereins und als Mitglied des Ortsschulvorstandes kümmerte er sich sowohl um Gewerbepolitik als auch um Schul- und Bildungsfragen. Er soll schon 1843 einen Kinderschulverein gegründet haben; jedenfalls ist sein Engagement für die Gründung eines Kindergartens schon vor 1848 vielfältig belegbar. Zusammen mit anderen Bensheimern organisierte er ab 1846 den Bau des Kirchberghäuschens.
Die Revolution von 1848
Im März 1848 mischte sich Krauß unmittelbar in die politischen Auseinandersetzungen der Revolutionszeit ein. Dabei lag ihm als Vorsitzendem des Gewerbevereins am Herzen, „die Ursachen des Verfalles der Gewerbe näher zu besprechen und die Mittel und Wege zur Abhülfe und zur Hebung des Gewerbestandes überhaupt [zu] beraten.“ Am 24. Februar 1849 gründete er in Bensheim den Vaterländischen Verein, dessen Vorsitzender er wurde. Die Statuten dieses Vereins gaben als Zweck an, „für gesetzliche Freiheit zu wirken; insbesondere beharrlich fest zu halten an den, von der deutschen Reichsversammlung beschlossenen und von der obersten Reichsbehörde verkündeten Grundrechten, so wie an den weiteren schon erlassenen und noch zu erlassenden Reichsgesetzen; in gleicher Weise uns zur unverbrüchlichen Richtschnur zu nehmen, die Verheißungen des am 6. März 1848, für das Großherzogthum Hessen gegebenen Programms. Es soll daher unsere Aufgabe sein, vernünftigen Fortschritt zu erstreben, wahre Volksaufklärung zu befördern und der Willkür, in welcher Form sie erscheinen und woher sie kommen möge, entschieden entgegen zu treten.“ Am 6. März 1848 hatte Großherzog Ludwig II. Heinrich von Gagern zum Vorsitzenden des Gesamtministeriums ernannt. Mit Heinrich von Gagerns politischer Haltung stimmte Krauß noch bis in die 1860er Jahre im Wesentlichen überein. Im April 1849 unterzeichnete er zusammen mit anderen wichtigen Bürgern der Stadt, zu denen auch der Gymnasiallehrer Weyer gehörte, einen „Aufruf an die Einwohner Bensheims und der Umgegend“, in dem es darum ging, „unsere tapferen Reichstruppen […], welche das Vaterland gegen die herausfordernden Dänen in den Krieg schicken mußte“, mit Verbandsmaterial zu versorgen. Bernhard Krauß gehörte sicherlich zum gemäßigten und konservativen Flügel der Bewegung von 1848. In Wahlrechtsfragen allerdings plädierte der Bensheimer Vaterländische Verein für das allgemeine und gleiche Wahlrecht. Ende 1849 wurde Bernhard Krauß als Vertreter der konstitutionellen Richtung im Wahlbezirk IV. Bensheim in die zweite Kammer des hessischen Landtags gewählt.
Kleinkinderbewahranstalt und Höhere Töchterschule
In den 1850er Jahren intensivierte Krauß seine Bemühungen um eine Kleinkinderbewahranstalt sowohl im Ortsschulvorstand als auch im Gemeinderat, dem er inzwischen angehörte. Angesichts der sozialen Not lag dem Schulvorstand die Errichtung einer Kleinkinderbewahranstalt „schon seit vielen Jahren am Herzen“. Auch wird Krauß die Gründung einer Höheren Töchterschule im Jahre 1850 zugeschrieben, also der Schule, aus der 1858 das Institut der Englischen Fräulein, die heutige Liebfrauenschule, hervorging. Allerdings stammte der erste öffentliche Aufruf dazu von Frau Christine Brauneis geb. Ludwig.
Fortbildungsschule
Seit Mitte der 1840er Jahre bemühte sich Krauß zusammen mit Ortsschulvorstand und dem Gewerbeverein um die Errichtung einer „Fortbildungsschule“ – heute würden wir sagen: einer Berufsschule. Am 23. Februar 1847 stellte der Schulvorstand u.a. mit Pfarrer Bloesinger und Dr. Krauß beim Bensheimer Gemeinderat den Antrag, eine Winterabendschule einzurichten, und begründete ihn damit, „daß Bensheim vorzugsweise eine Gewerbsstadt ist, deren Wohlstand von dem Zustand der Gewerbe, diese aber von der Bildung der Gewerbetreibenden abhängt […].“ Bis 1863 sind im Allgemeinen Bergsträßer Verordnungs- und Anzeigeblatt von Krauß gezeichnete Anzeigen und Mitteilungen der Bensheimer Handwerkerschule zu finden.
Schulturnen
Im gleichen Jahr trat er als Organisator und Festredner einer Jubiläumsfeier des Gymnasiums auf. Dabei setzte er sich besonders für das Turnen ein und forderte, „daß noch ein eigener Turnlehrer am hiesigen Gymnasium angestellt wird und daß die Stadt eine eigene Turnhalle errichtet, damit das gesunde, den Körper und Geist kräftigende Turnen, das zugleich von manchem Schlimmen und Verkehrtem abhält, Sommers und Winters exercirt werden kann.“
Deutscher Reformverein und Reichsgründung
Ende 1862 gehörte Bernhard Krauß in Frankfurt zu den Mitgründern des Deutschen Reformvereins, für den er auch Heinrich von Gagern gewinnen wollte. Diese Gruppe versuchte, durchaus im Sinne der Regierung Dalwigk in Darmstadt, im liberal-konservativen Lager ein Gegengewicht zum preußisch ausgerichteten Deutschen Nationalverein zu bilden. Ging dessen Gründung auf den Erfolg der italienischen Einigungsbewegung zurück, so dass er eine stark antikatholische, gegen die ultramontane Partei gerichtete Politik vertrat, so verstand sich der Reformverein zwar nicht als „großdeutsch […], wenn auch großdeutsche Ideen den Verein prägten“, wie Krauß am 24. Oktober 1862 an Heinrich von Gagern schrieb. Überhaupt würde „jeder Parteianstrich […] nach meiner Ansicht der guten Sache [schaden], während der Ausdruck ‚ächt deutsch’ oder ‚patriotisch’ geeignet ist, alle Parteien zu vereinigen und schon deshalb manchen s[o] g[enannten] Kleindeutschen wie Nationalvereinler leichter bekehren und herüberbewegen wird.“ Tatsächlich war das ein erfolgloses Bemühen. Dem ebenfalls 1862 ernannten preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck gelang es wenig später den Nationalverein auf seine Seite zu ziehen und, von diesem unterstützt, die kleindeutsche Lösung bei der deutschen Einigung durchzusetzen.
Der „Kulturkampf“ am Ende seines Lebens
Es folgte die Zeit des Kulturkampfes. Sie prägte die letzten Lebensjahre von Bernhard Krauß. Und auch seine Beerdigung blieb davon nicht unberührt. So weigerte sich der Bensheimer katholische Pfarrer Sickinger, die Bestattungsfeierlichkeiten des am 19. Februar 1875 verstorbenen Bernhard Krauß zu übernehmen. Das Bergsträßer Anzeigenblatt veröffentlichte einen Nachruf, in dem es unter anderem hieß: „Der Verstorbene, ein feingebildeter Mann, hatte stets an allen Vorgängen des öffentl[ichen] Lebens den lebhaftesten Antheil genommen, mit idealer Begeisterung alle humanen Bestrebungen unterstützt und war namentlich für die religiös-sittliche Entwicklung und Erziehung der Menschen durch Wort und Schrift schwärmerisch thätig. […] Von ultramontaner Seite ward ihm im Stark[enburger] Boten die ehrenvolle Auszeichnung zu Theil, der Gegenstand fortgesetzter, roher Angriffe zu sein. Herr Dr. Krauß war katholisch, und hatte seine Zugehörigkeit durch seine Theilnahme an der Oster-Communion stets practisch bethätigt; nichts destoweniger erhielten dessen Angehörigen auf ihre Bitte, um Begleitung der Leiche, von Pfarrer Sickinger eine abschlägige Antwort, mit der Bemerkung, derselbe sei ein Feind der katholischen Kirche gewesen. […] Bereitwillig entsprach der altkatholische Pfarrer, Herr Rieks von Heidelberg, dem Wunsche um Begleitung der Leiche, und unter der theilnahmsvollsten Haltung der Bevölkerung, dem Vorantritte des hiesigen Kriegervereins und der Feuerwehr, und der Betheiligung des Gesangsvereins Harmonie, sowie des Direktors, sämmtlicher Lehrer und Zöglinge des Großherzoglichen Schullehrerseminars, bewegte sich ein Zug Leidtragender, wie ihn unsere Stadt noch nie gesehen, zum Kirchhofe.“
Matthias Gröbel

„Appiano, Amand, aus Bensheim, 23 Jahre – Theilnahme an staatsgefährlichen burschenschaftlichen Verbindungen.“

Diese Hinweise finden sich in der Fahndungsliste, die am 14. April 1836 vom Frankfurter Bundestag erstellt wurde. Amand Appiano aus Bensheim war einer von 29 Männern, die auf dieser Nachtragsliste verzeichnet sind. Mit zwei anderen Listen wurde schon zuvor nach über 180 Personen aus ähnlichen Gründen gefahndet. Eine von ihnen war übrigens der Dichter Heinrich Heine. Eine andere Georg Büchner aus Darmstadt. Amand Appiano gehörte zum Umfeld der von Büchner in Gießen 1834 gegründeten „Gesellschaft der Menschenrechte“.

Leider gibt es kein Bild von Amand Appiano. Statt dessen wird hier der Steckbrief, der am 30. September 1835 in der Großherzoglich-hessischen Zeitung veröffentlicht wurde, abgedruckt. Appiano wurde wegen seiner Beteiligung an Herstellung und Verteilung des von Georg Büchner verfassten Hessischen Landboten im Großherzogtum Hessen und den anderen deutschen Bundesstaaten gesucht

Franz Joseph Amand Appiano, am 7. Oktober 1812 geboren, war der Sohn des katholischen Bensheimer Kaufmanns Jakob Appiano. Jakob Appiano kam 1809/10 zusammen mit seiner Frau Magdalene, geb. Schlink, aus Aschaffenburg nach Bensheim. Amand Appiano war das zweite von ingesamt sechs Kindern. Sein Vater Jakob war in den 1830er Jahren erster Beigeordneter in Bensheim. 1840, am Ende der Amtszeit von Bürgermeister Adam Fertig, leitete er sogar einmal bis zur Amtseinführung des neuen Bürgermeisters dessen Amtsgeschäfte. Danach verließ die Familie Appiano Bensheim. Warum und wohin ist unbekannt. Aber nicht auszuschließen ist, dass die Verfolgung des Sohnes einer der Gründe dafür war. Ihr freigewordenes Wohnhaus in der heutigen Bahnhofsstraße, das sogenannte Appiano‘sche Haus, wurde 1840 zum neuen Domizil des Bensheimer Gymnasiums, das vorher in einem oberen Stockwerk des Hospitals untergebracht war.

Schüler in Bensheim, dann Student in Gießen

Amand Appiano besuchte das Bensheimer Gymnasium bis 1830. Am 4. November 1830 immatrikulierte er sich für das Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Gießen. Am 9. Mai 1832 schrieb sich der zu diesem Zeitpunkt knapp 20jährige Appiano an der Universität Heidelberg ein, um auch dort Rechtswissenschaften zu studieren. Aber schon ein Jahr später ging er zurück nach Gießen. Am 6. Mai 1833 erneuerte er dort seine Immatrikulation, wurde aber nach dem Sommersemester 1834 nicht mehr im Gießener Personenstandsverzeichnis geführt. Vermutlich floh er im Sommer 1834 ins Ausland, nachdem die Landbotengruppe durch einen Spitzel verraten worden war und erste Verhaftungen stattgefunden hatten.

Verbindungen zu Georg Büchner

Was Amand Appiano veranlasste, sich der radikalen Partei um Georg Büchner anzuschließen, ist nicht bekannt. Die Ursachen für Appianos Radikalisierung dürften aber, wie bei vielen Studenten der damaligen Zeit, im burschenschaftlichen Verbindungswesen zu suchen sein. Nach dem Attentat des „schwarzen“ Studenten Karl Sand auf August von Kotzebue im Jahre 1819 folgte mit den Karlsbader Beschlüssen das Verbot aller burschenschaftlichen Verbindungen. Aber seit dem Jahre 1828 bildeten sich an verschiedenen Universitäten erneut Burschenschaften mit dezidiert politischen Ansprüchen. Man wollte mindestens ein einheitliches Deutschland, eine Verfassung und das Ende des „Systems Metternich“, d.h. die Aufhebung der Karlsbader Beschlüsse. Sowohl in Gießen als auch in Heidelberg gab es nach 1828 Verbindungen, die in der Tradition der deutlich radikaleren Gruppen aus der Zeit Karl Sands standen.

1832 nach Heidelberg

Als Amand Appiano 1832 von Gießen nach Heidelberg wechselte, konnte er dort eine Reihe von Studenten treffen, die später an den revolutionären Ereignissen in Hessen – 1833 Frankfurter Wachensturm, 1834 Druck und Verteilung des Hessischen Landboten – teilnahmen. So z.B. Georg Gladbach, der sich schon wenig später, Ende 1832, in Gießen immatrikulierte, wo er im Mai 1833 wegen seiner Beteiligung am Frankfurter Wachensturm verhaftet wurde. Oder die Brüder August und Joseph Gros sowie Johann Baptist Müller. Alle drei wechselten kurz nach Appiano an die Heidelberger Universität. In den Untersuchungsberichten der Bundesbehörden über die revolutionären Umtriebe in Oberhessen nach 1832 werden tatsächlich die Studenten Georg Gladbach, August Gros und Johann Baptist Müller genannt, während Appiano hier noch keine Erwähnung findet.

Verteiler des „Hessischen Landboten“

Als dann nach 1835 die Behörden wegen des Hessischen Landboten ermittelten, stellten sie fest, dass zu dem für dessen Herstellung und Verteilung verantwortlichen Kreis neben Georg Büchner auch die Studenten Franz Joseph Amandus Appiano, August Gros und Johann Baptist Müller gehörten. Appiano wurde in Verhören als einer derjenigen genannt, die den Hessischen Landboten an bestimmten Depots abholten, um ihn weiter zu den Verteilern zu transportieren. In einer Aussage heißt es:

„Sonntags darauf kamen 2 Studenten ein gewisser Clemm u. einer Namens Appiano aus Giessen. Diese beiden Studenten nahmen mir einen großen Theil der mir von Zeuner überbrachten Schriften ab u. packten dieselben in 2 Pakete. Das eine adressierten sie an den Appellationsrath von Hellmuth u. das andere an einen gewissen Advokaten, dessen Namen mir aber entfallen ist. Sie packten nun selbiges in ihre Chaise…“

Wie sah Appianos weiteres Schicksal aus? Spätestens im Sommer 1835 ist er, wie auch Büchner, als Flüchtling in Straßburg nachweisbar. Karl Vogt, der berühmte Zoologe, damals ebenfalls Flüchtling, traf ihn dort. Für ihn war Appiano „der kleine Appel, ein energischer kleiner schwarzer Kerl, der sich immer auf krumme Säbel schlagen wollte.“ Von Straßburg reiste er im Oktober 1836 weiter nach Châlons sur Marne, wo Appiano als Buchbinder gearbeitet haben soll. Schließlich kam er nach Metz, erhielt am 18. Januar 1851 eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung und lebte vom Musikalienhandel. Mit Politik beschäftigte er sich, so weit man weiß, in seinem weiteren Leben nicht mehr. Amand Appiano starb am 3. Dezember 1862 in Metz.

(Matthias Gröbel)

Christoph Moufang (1817-1890): Ein Kämpfer gegen Liberalismus, Nationalismus und „Indifferentismus“

So lautet eine Kapitelüberschrift in der einzigen bisher erschienen Biographie Christoph Moufangs. Was unter Liberalismus und Nationalismus zu verstehen ist, wissen vielleicht die meisten von uns. Aber was verbirgt sich hinter „Indifferentismus“?

Nun, darunter wurde zur Zeit Moufangs die Auffassung verstanden, dass Religionen und Weltanschauungen gleichwertig sein können. Wer wie Moufang gegen den „Indifferentismus“ kämpfte, wollte damit die Sonderstellung und den absoluten Vorrang seiner Konfession gegenüber anderen Religionen und Weltanschauungen betonen.

Christoph Moufang wurde am 17. Februar 1817 in Mainz geboren. Seine Verbindungen mit dem Gymnasium in Bensheim entstanden durch seinen Beruf.

Als Pfarrer nach Bensheim

Nachdem er ab 1834 in Bonn zunächst Medizin studiert hatte, wechselte er schon nach wenigen Semestern zur katholischen Theologie. Nach Abschluss seines Studiums in Bonn, München und Gießen wurde er am 19. Dezember 1839 in Mainz zum Priester geweiht. Als solcher war er zunächst in Seligenstadt tätig, wurde dann aber am 20. Dezember 1843 mit der Verwaltung „der großen und auch wegen ihrer reichen kirchlichen Fonds beschwerlichen Pfarrei Bensheim an der Bergstraße“ betraut. In dieser Funktion unterrichtete er dann auch am Bensheimer Gymnasium. Allerdings wurde Moufang schon nach zwei Jahren an das Mainzer Gymnasium versetzt.

Gründer der ersten katholischen Partei

Nach einigen Jahren übernahm Moufang weitere wichtige Aufgaben. So wurde er am 24. April 1851 vom neu ernannten Mainzer Bischof von Ketteler als Leiter, des Priesterseminars eingesetzt. Außerdem ernannte ihn der Bischof zum Geistlichen Rat und Mitglied des bischöflichen Ordinariats. Im Sommer 1862 gründete Moufang als Gegengewicht zur demokratischen Fortschrittspartei die „Großdeutsche Partei“, die erste klerikal-katholische Partei in Deutschland und eine Vorläuferin der Zentrumspartei. Seit 1862 vertrat er die katholische Kirche in der Ersten Kammer in Darmstadt. Sein Wirken dort beschrieb ein anonymer Beobachter 1867 so: „Dieser, der Vertreter des Bischofs, ist der schon öfter erwähnte Domkapitular Christoph Moufang, ein Heißsporn, voll Geist und Kenntnissen. Er ist der Rufer im Streit, der katholische Achilles, unstreitig der beste Redner der Ersten Kammer, wenn auch oft weit über das Ziel hinausschießend, wortschwallreich – aber stets pointiert, in seiner Sprache siegsgewiß. Noch jüngst, bei dem Jubiläum des Bischofs von Strasburg, trug unter 23 anwesenden Würdenträgern der deutsche Festredner, Moufang, die Krone der Beredsamkeit davon. Er ist ein gefährlicher Gegner.“

Für die Zentrumspartei im Reichstag

1868/69 nahm Moufang am „Ersten Vatikanischen Konzil“ in Rom teil, auf dem die Unfehlbarkeit des Papstes als Dogma beschlossen wurde. Im März 1871 wurde er als Vertreter der Zentrumspartei zum Reichstagsabgeordneten gewählt. Als am 13. Juli 1877 Bischof von Ketteler starb, übernahm Moufang als „Capitelsvicar“ die provisorische Leitung des Bistums Mainz, wurde aber kurze Zeit später vom Großherzog abgesetzt, weil er sich weigerte, bei der Durchführung der Kirchengesetze mitzuwirken. Moufang starb am 27. Februar 1890.

Christoph Moufang gilt neben Bischof von Ketteler als einer der profiliertesten hessischen Vertreter des „Kulturkampfes“. Dabei wurde einerseits auf Veranlassung Bismarcks zwar die katholische Kirche unterdrückt. Andererseits aber versuchte die katholische Kirche in dieser Zeit, ihr im Laufe des 19. Jahrhunderts verlorenes Terrain zurückzugewinnen. Sie kämpfte deswegen an allen Fronten – eben gegen Liberalismus, Aufklärung, freireligiöse Tendenzen und die Arbeiterbewegung.

Kämpfer für katholischen Einfluss am Gymnasium

In diesem Zusammenhang untersuchte Moufang im Auftrag des Mainzer Bischofs von Ketteler im Winter 1853/54, wie stark das Bensheimer Gymnasium von den revolutionären Ereignissen der Jahre 1848 und 1849 erfasst worden war. Den Anlass dafür bildete ein Skandal. Der katholische Geistliche und Benefiziat am Gymnasium, Franz Blümmer, war in den Jahren nach 1848 von der Kirche abgefallen und schließlich zum Protestantismus übergetreten. Blümmer hatte schon im Juni 1853 das Gymnasium verlassen, womit der Skandal aber noch nicht beendet war. In Mainz vermutete man, dass hinter Blümmer andere Kräfte gewirkt hatten. Um diese ausfindig zu machen, wurde Ende 1853 eine Untersuchungskommission gebildet, an deren Spitze Moufang stand. In dieser Funktion befragte er alle aus Bensheim stammenden Mitglieder des Priesterseminars. Das waren nicht wenige, denn auch im 19. Jahrhundert beschloss ein Großteil der Bensheimer Abiturienten, Priester zu werden.

Moufang stellte 1854 in seinem Abschlussbericht an den Bischof fest, dass „der Zustand des Gymnasiums in religiöser wie in sittlicher Hinsicht ein höchst trauriger und beklagenswerter sei“. Dabei machte er übrigens den Geschichtsunterricht als eine der Quellen des Übels aus. Dem Geschichtslehrer wird vorgehalten, er halte seinen Unterricht „in einem der Kirche feindseligen Geiste“. Er zeige sich als „ein Freund, wie es scheint, aller Opposition und nehme regelmäßig die Personen, welche sich gegen kirchliche und staatliche Ordnung aufgelehnt haben, gegen die Autorität in Schutz“. Er trage „im kirchenfeindlichen Geiste die Reformationsgeschichte (…) vor – und in welchem Tone dieß geschieht, dafür mag dies Eine genügen, daß er bei der Geschichte des allgemeinen Concils von Trient bemerkte: der Papst habe den heiligen Geist im Felleisen den versammelten Bischöfen zugeschickt.“

Christoph Moufang schlug am Ende dem Mainzer Bischof vor, das Gymnasium häufiger, vor allem beim Abitur, zu visitieren. Die Katholische Kirche sollte und wollte die verlorene Kontrolle über das schon lange Großherzogliche Gymnasium zurückgewinnen.

Entsprechend wurde Bischof Ketteler bei der Regierung in Darmstadt vorstellig. Dort war man allerdings nicht gewillt, das Bensheimer Gymnasium aus seiner staatlichen Aufsicht zu entlassen.

(Matthias Gröbel)

Gustav Schlosser (1826 – 1890): Der erste protestantische Religionslehrer am Bensheimer Gymnasium

Das Bensheimer Gymnasium war in seinem Selbstverständnis lange Zeit ein katholisches Institut. Allerdings nahm der Anteil protestantischer Bürger in Bensheim im Laufe des 19. Jahrhunderts immer mehr zu, so dass 1852 ein evangelisches Pfarramt gegründet wurde. In den ersten Monaten betreute Pfarrverwalter Steinberger zu Auerbach vorläufig die Amtsgeschäfte, bis im Herbst 1852 Pfarrverwalter Gustav Schlosser die Leitung der Gemeinde und den Gottesdienst, der bis zur Fertigstellung der Michaelskirche im Jahre 1863 im Dalberger Hof gefeiert wurde, übernahm. In der von Heinrich Dinges verfassten Schulchronik heißt es: Die evangelischen Schüler des Bensheimer Gymnasiums erhielten ihren Religionsunterricht in der ersten Zeit des Bestehens einer evangelischen Pfarrei – 1852 bis 1854 – gemeinsam mit den Stadtschülern. Erst am 13. Januar 1854 wurde Gustav Schlosser auch am Gymnasium als Religionslehrer eingeführt. Er erteilte 4 Stunden wöchentlich gegen eine jährliche Renumeration von fl. 100.“

Die beiden Konfessionen, Katholiken und Protestanten, kamen in jener Zeit keineswegs gut miteinander aus. Die Anfänge des Kulturkampfes zeigten sich in Bensheim wie im gesamten Großherzogtum Hessen. Ein Jahr zuvor, 1853, war der am Gymnasium unterrichtende katholische Benefiziat Dr. Franz Blümmer zum protestantischen Glauben konvertiert, woraufhin eine vom Mainzer Bischof von Ketteler eingerichtete Kommission unter Leitung von Christoph Moufang die religiösen Zustände am Gymnasium untersuchen sollte. (Siehe dazu auch das Porträt Christoph Moufangs.) Im Rahmen dieser Untersuchung wurde auch der gerade eingeführte neue evangelische Religionslehrer Gustav Schlosser kritisiert, weil er in seinem Unterricht Vorurteile gegen die katholische Kirche geschürt und die religiösen Gefühle der katholischen Bensheimer verletzt haben soll. Tatsächlich wurde Schlosser schon Ende 1854 ins benachbarte protestantische Schönberg versetzt, so dass er nun nicht mehr für den evangelischen Religionsunterricht am Gymnasium zuständig war.

Wer war nun dieser Gustav Schlosser? Geboren wurde er am 31. Januar 1826 in der oberhessischen Kleinstadt Hungen. Von 1843 bis 1847 studierte er in Gießen Theologie und war Mitglied der eher radikalen Reform-Burschenschaft Allemannia beziehungsweise deren Untergliederung Frankonia. Am Ende seiner Studienzeit war er in eine der berühmtesten studentischen Aktivitäten in der hessischen Vormärz-Zeit verwickelt: den Auszug der Gießener Studenten nach Stauffenberg. Die Gießener Studenten erregten sich im Sommer 1846 über einen polizeilichen Willkürakt, protestierten dagegen, und weil sie das Gefühl hatten, dass die ihnen gemachten Zusagen nicht eingehalten werden, griffen sie zum schärfsten Mittel, dem zeitweisen Auszug aus der Stadt, womit sie die Gießener Geschäftswelt empfindlich trafen. Zu den Organisatoren des Protestes gehörten der spätere radikale 1848er Rudolf Fendt, der jüngere Bruder Georg Büchners, Ludwig Büchner, und vor allem auch Wilhelm Liebknecht, der spätere Mitgründer der SPD. Am Ende wurden die studentischen Organisatoren vor‘s Discipel citirt. Das Universitätsgericht ging mit den Studenten nicht zimperlich um. Gustav Schlosser wurde für ein halbes Jahr von der Universität relegiert. Wilhelm Liebknecht musste sie gar ganz verlassen.

Gustav Schlosser konnte seine Strafe verkraften, weil er sein Studium im Grunde schon abgeschlossen hatte. 1847 wechselte er auf das für künftige evangelische Pfarrer obligatorische Predigerseminar in Friedberg, wo es bei ihm, wie sein Biograph Ulrich Kammer schreibt, zu einer entschiedene[n] Wendung zum bibeltreuen Luthertum und [zu] erste[n] Berührungen mit Anfängen christlicher Diakonie kamGustav Schlosser war auch ein Aktivist der Revolution von 1848, allerdings nicht im demokratisch-republikanischen Sinne. Vielmehr setzte er sich für eine Wiederbelebung der protestantisch-christlichen Gemeinden und eine Erneuerung des deutschen Kaisertums ein. 

Die Jahre 1848 bis 1852 verbrachte er in Darmstadt, wo er zum Mitgründer des Missionsvereins wurde, 1850 die ,Politisch-kirchlichen Blätter‘ heraus[gab] und ein christliches Knabeninstitut [eröffnete]. Schlosser proflilierte sich als konservativer Anhänger der Inneren Mission

Es folgten die Jahre in Bensheim, in der katholischen Diaspora, in denen er ebenfalls selbstbewusst seine lutherisch-konservative Überzeugung im Sinne einer inneren Mission umzusetzen versuchte. Das kann man der oben angesprochenen Untersuchung der religiösen Zustände am Bensheimer Gymnasium entnehmen.

Zwischen 1854 und 1864 war Schlosser als Hofkaplan in Schönberg tätig. Dann zog er bis 1873 noch etwas weiter in den Odenwald hinein, nach Reichenbach nämlich. In den Jahren 1855 bis 1875 gab er das ,Kirchenblatt‘ als Organ der bekenntnistreuen Lutheraner in Hessen heraus und übt[e] hierin und in Einzelschriften heftige Kritik am bürokratischen Kirchenregiment und theologischen Liberalismus im Großherzogtum Hessen-Darmstadt.

Gustav Schlosser war eine weit über seine Pfarreien in Bensheim, Schönberg und Reichnbach hinaus bekannte protestantische Persönlichkeit. Das brachte ihm im Jahre 1871 einen Ruf nach Bethel ein, den an seiner Stelle dann Friedrich von Bodelschwingh annahm. 1873 trat Schlosser aus dem Kirchendienst aus und wechselte nach Frankfurt, wo er die geistliche Leitung des Evangelischen Vereins für Innere Mission übernahm. Im Rahmen seiner Tätigkeit dort schrieb er Bücher mit Titeln wie Welche sozialen Verpflichtungen erwachsen dem Christen aus seinem Besitz? Oder Die Vagabunden-Noth. Er hatte wegen seines Einsatzes für die Wiedereingliederung bettelnder Obdachloser, aber auch wegen seiner rastlosen diakonischen Tätigkeit im ganzen Deutschen Reich für Prostiutierte und Verwahrloste den Spitznamen Reichs-Vagabund. Schlosser soll sowohl mit Friedrich von Bodelschwingh als auch mit dem Berliner antisemitischen Hof- und Domprediger Adolf Stoecker gut befreundet gewesen sein. Wie es um den Antisemitismus Schlossers aussah, ist bisher nicht erforscht, in der Freundschaft mit Stoecker aber angedeutet. Den Liberalismus Friedrich Naumanns, seines Nachfolgers im Amte des Vereinsgeistlichen der Inneren Mission, lehnte er leidenschaftlich ab.

Gustav Schlosser starb am 1. Januar 1890 in Frankfurt an einer Grippeinfektion.

Matthias Gröbel

Theo Knodt, Otto Holzamer, Arnold Greiner – Künstlerkinder am Bensheimer Gymnasium zwischen 1900 und 1919

Am Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte sich die Bergstraße zwischen Darmstadt und Heidelberg zu einem beliebten Lebensraum für Künstler des Jugendstils und Anhänger der Lebensreform. Noch heute bekannt ist die Künstlerkolonie auf der Darmstädter Mathildenhöhe mit ihren Aufsehen erregenden Ausstellungen nach 1901. Und selbstverständlich die weiter im Süden liegende und 1910 gegründete Odenwaldschule, eines der wichtigsten Zentren der Reformpädagogik. Nicht zuletzt wegen solcher Institutionen lebten an der Bergstraße auch viele Schriftsteller, deren Namen heute weitgehend vergessen sind, obwohl sie in ihrer Zeit auch über die Region hinaus bekannt waren. Adam Karillon in Weinheim, Karl Ernst Knodt in Bensheim, Ernst Pasqué in Alsbach, Helene Christaller in Jugenheim sind hier zu nennen. Aber auch Wilhelm Holzamer aus Heppenheim und Daniel Greiner aus Jugenheim.

Daniel Greiner (1872–1943) gehörte ab 1903 für drei Jahre der Künstlerkolonie an, wirkte dort vor allem als Bildhauer und Grafiker. 1907 ließ er sich in Jugenheim nieder, gründete eine Werkstatt für Grabmalkunst und wurde einer der bedeutendsten deutschen Künstler auf diesem Gebiet. Ebenfalls 1907 gründete er die Zeitschrift „Die Kunst unserer Heimat“, eine der wichtigsten regionalen deutschen Kulturzeitschriften jener Zeit. In ihr wurden alle Äußerungsformen von Kunst gesammelt und Projekte der Lebensreform vorgestellt. Sie umfasste das ganze Spektrum der Kunst jener Zeit – vom Jugendstil bis zu den Anfängen des Expressionismus. Josef Olbrich, der führende Repräsentant der Darmstädter Mathildenhöhe,  hatte noch kurz vor seinem Tod den Umschlag der Zeitschrift gestaltet. Zu den Mitarbeitern gehörten auch die erwähnten Schriftsteller Wilhelm Holzamer (1870–1907) und Karl Ernst Knodt (1856–1917).

Die Söhne von Karl Ernst Knodt und Wilhelm Holzamer besuchten das Bensheimer Gymnasium. Theodor Knodt, geboren am 21. November 1891 in Oberklingen, wurde 1905 in die Quarta des Gymnasiums aufgenommen, nachdem er zuvor ausschließlich privat unterrichtet worden war. Vermutlich wegen schwacher Leistungen meldete ihn sein Varer noch vor Schuljahrsende, nämlich am 10. Februar 1906, ab.

Reifezeugnis „ohne Prüfung“

Otto Holzamer, geboren am 7. August 1898 zu Heppenheim, besuchte das Gymnasium – nach dem Tode seines Vaters – vom Herbst 1910 bis zum 8. August 1916, und zwar von Quinta bis Unterprima. Dann wurde er eingezogen und blieb im Heeresdienst bis in das Jahr 1919 hinein. Am 3. März 1919 erhielt er „das Zeugnis der Reife ohne Prüfung“ aufgrund einer Vereinbarung der Bundesstaaten der neu gegründeten Weimarer Republik, weil er Ostern 1916 regelrecht nach Unterprima versetzt worden war.

Theo Knodt verpasste mit seiner Abmeldung im Februar 1906 eine wesentliche Veränderung im Bensheimer Gymnasium: Im Schuljahr 1906/1907 wurden nämlich erstmals Mädchen aufgenommen. Otto Holzamer hingegen gehört zu den Bensheimer Schülern, deren gymnasiale Bildung durch den Ersten Weltkrieg – durch frühzeitige Einberufungen, freiwillige Meldungen zum Kriegsdienst und Notreifeprüfungen – empfindlich gestört oder sogar beendet wurde. Im Schuljahr 1914/15 meldeten sich 29 von insgesamt 239 Schülern des Gymnasiums freiwillig zum Kriegsdienst. Hinzu kamen sechs freiwillige Meldungen zum Sanitätsdienst. Von den Schülern aus der Zeit zwischen 1914 bis 1918 fielen 24 im Krieg, außerdem zwei Lehrer. Zählt man die ehemaligen Schüler und Lehrer hinzu, dann hatte das Gymnasium über 35 Tote zu beklagen.

Suizid eines Untersekundaners

Daniel Greiner, der Herausgeber der Zeitschrift „Die Kunst unserer Heimat“, veränderte nach dem Krieg sein Wirken radikal, obschon sein bisheriges Leben harte Brüche aufzeigte: Nach dem Studium der Theologie und Philosophie in Gießen promovierte er mit einer Arbeit über Kant. Ab 1897 wirkte er als Theologe und Lehrer in Schotten im Vogelsberg. Weil er nicht mehr an die jungfräuliche Geburt Jesu glauben konnte, verließ er sein Amt und wurde Künstler. – Nach dem Krieg schloss Greiner sich der KPD an, war ab 1924 Fraktionsvorsitzender dieser Partei im hessischen Landtag und fertigte als Bildhauer einige Kriegerdenkmäler an. Anstelle einer Person zeigen wir hier Greiners „Kriegerehrenmal“, das er 1928 in Bauschheim errichtete. Greiner lehnte als Kommunist und Landtagsabgeordneter das Gymnasium strikt ab und forderte eine für alle verbindliche Volksschule. Auch seine Familie verpflichtete er auf dieses Programm. Nach 1919 verbot er seinen Kindern, auf das Gymnasium zu gehen.

Das war nicht immer so. So besuchte das zweite seiner insgesamt zehn Kinder, der am 14. Februar 1901 noch in Schotten geborene Arnold, das Bensheimer Gymnasium, nachdem er, wie auch Theo Knodt, zuvor Privatunterricht erhalten hatte. Arnold Greiner besuchte das Gymnasium zur gleichen Zeit wie Otto Holzamer, allerdings war er zweieinhalb Jahre jünger. In der handschriftlichen Chronik des Gymnasiums vermerkte Direktor Kieser 1915 einen Todesfall, den wir zunächst mit dem Weltkrieg in Verbindung brachten. Dort heißt es:

„28.11. Unter der Nachwirkung eines epileptischen Anfalls, der schon einige Vorgänger hatte und auf erbliche Belastung zurückzuführen ist, erhängte sich der Schüler der Untersekunda Arnold Greiner, Sohn des ehemaligen evang. Pfarrers und jetzigen Bildhauers Dr. Greiner zu Jugenheim in einem Tannenwäldchen bei der Station Hähnlein, kurz nachdem ihn s. jüngerer Bruder auf einige Zeit verlassen hatte; seine Leiche wurde auf den Friedhof von Alsbach gebracht und dortselbst in Abwesenheit der Eltern beerdigt. An dem Leichenbegräbnis 1. Dez. 1915 ½ 4 Uhr beteiligten sich jedoch seine sämtlichen Klassenkameraden unter Führung des Klassenführers Prof. Goehle, der dem so früh Entschlafenen einen ehrenden Nachruf und eine Kranzspende widmete. Der Verstorbene war ein geweckter und treuherziger Knabe, der sehr kräftig entwickelt, vollsaftig und über seine Jahre geistig lebendig war.“

Die gefallenen Schüler wurden schon im Krieg und dann vor allem nach 1918 jährlich als Helden geehrt. – Arnold Greiner war in diesem Sinne kein Held. Auch in seiner Familie wurde nicht mehr über ihn gesprochen.

(Matthias Gröbel)

Gustav Zwissler (1888-1973): Eine Bensheimer Lehrerpersönlichkeit des zwanzigsten Jahrhunderts

Hans Sternheim (1900-1983) bezeichnete seinen Lehrer Gustav Zwissler inseinen Erinnerungen und Betrachtungen als Beispiel für religiös-sittliche Weisheit. Sternheim schreibt weiter: Er, der hochintelligente Philologe, war der beste Kritiker des von mir literarisch Geschaffenen. Der spätere Präsident des Verwaltungsgerichts Darmstadt, Wilhelm Dexheimer (1912-1987), erinnerte sich wie folgt an seinen Klassenlehrer:…

Studienrat Zwissler, den wir, zu seiner straffen und oft auch streng wirkenden Art passend ,Zwiwwi‘ nannten, war ein besonders vielseitiger, lebensnaher und geistig aufgeschlossener Lehrer. Er konnte, besonders in seinen jüngeren Jahren, auch recht hart und unnachsichtig sein; er ließ sich so leicht nichts vormachen. Ich selbst vergesse nicht seinen hervorragenden Deutschunterricht in den Oberklassen, in dem er uns sowohl die Klassiker als auch die Moderne mit Toleranz nahezubringen verstand. Wolfgang Hamberger (geb. 1930), Fuldaer Oberbürgermeister, zählte Lehrer vom alten Schlag wie Zwissler auch in der NS-Zeit zu den bestimmenden Persönlichkeiten.

Studium in Gießen

Gustav Theodor Zwissler wurde am 12. August 1888 als Sohn der Eheleute Theodor Zwissler (1841-1922) und Hermine, geb. Dauch (1855- 1940) in Bensheim geboren. In der Rodensteinstraße 75 betrieben seine Eltern ein Baumaterialgeschäft. Von 1898 bis 1907 besuchte er das Gymnasium Bensheim. Auf sein Studium der Romanistik, Klassischen Philologie und Germanistik an der Universität Gießen schloss sich das erste Vorbereitungsjahr an der Oberrealschule Alsfeld an, ab 21. Oktober 1912 ein zweites am Gymnasium Bensheim, wo er am 1. Oktober 1913 zum Lehramtsassessor ernannt wurde.

Vom 5. August bis 1. Oktober 1914 gehörte Zwissler der Ersatzreserve zur Verwendung von Befestigungsarbeiten in der Umgegend von Mainz an. Am 11. Oktober 1915 rückte er als Kanonier zum 1. Rekrutendepot 3. Ersatz- Bataillon Feldartillerie Rgt. 25 Darmstadt ein. Im November 1918 im Rang eines Leutnants zurückgekehrt, heiratete er in Bensheim am 14. Mai 1921 die Lehrerstochter Maline Schäfer (1895-1967). Aus der Ehe gingen die Kinder Dr. Theo Zwissler, Pia Schwabenland und Hermine Ludwig hervor.

Katholischer NS-Gegner

Zwissler, praktizierender Katholik und Wähler der Deutschen Zentrumspartei, weigerte sich nach 1933 der NSDAP oder dem NSLB (Nationalsozialistischer Lehrerbund) beizutreten. Trotz mancher Ungerechtigkeiten in der Behandlung von Schülern, „die wider den Stachel löckten, und ihrer manchmal negativen Beurteilung im Zeugnis und bei der Versetzung und trotz manchen Ärgers“ dürfe nicht übersehen werden, dass zahlreiche weitere Kollegen keine Parteimitglieder gewesen seien. „Während an anderen Schulen und Behörden das Leben für ein Nicht-Parteimitglied vielfach fast unerträglich war, kamen z.B. Denunziationen so gut wie nicht vor.“ Dennoch sei das Unterrichten schwer genug gewesen, da dem Lehrer noch nicht urteilsfähige Schüler, teilweise Fanatiker, gegenüber saßen, „die durch die Ideen der HJ verseucht waren. Er hatte die Wahl, Märtyrer zu werden – und das nicht einmal, denn bei massiver Gegnerschaft wäre er einfach verschwunden und, ohne Blutzeuge zu werden, irgendwo verhungert oder zu Tode geprügelt worden – oder aber er mußte sich durchlavieren.“ Gerhard Stephan, ehemaliger Lehrer am AKG, fasst Zwisslers Erinnerungen so zusammen: „Gustav Zwissler beschreibt in seinem kritisch-bitteren Rückblick die Nöte der Lehrer, die in kritischer Distanz zum nationalsozialistischen System standen.“ Bei offiziellen Schulveranstaltungen trat Zwissler mit Klavierdarbietungen auf. Am 11. Mai 1935 hielt er eine Rede „auf die Leistung und Ehren der Mutter“.

Am 25. Oktober 1944 wurde er zu Westwallarbeiten dienstverpflichtet, wobei er sich einen hartnäckigen Bronchialkatarrh zuzog. Die Wochen vor Einmarsch der Amerikaner hielt er sich in einer Erdhöhle in der Nähe seines Anwesens Nibelungenstraße 54 versteckt, weil er vor einem Racheakt Bensheimer Nazis gewarnt wurde. Zwissler und Dr. Johannes Bensel (1892-1985) wurden von der amerikanischen Militärregierung mit der vorläufigen Übernahme des Direktorats beauftragt. Nach seiner Pensionierung am 1. Februar 1953 nahm er bis 1955 einen Lehrauftrag am Gymnasium wahr und erteilte bis in die siebziger Jahre am Fideliskolleg der Kapuziner unentgeltlich Lateinunterricht.

Neben Literatur und Musik galten seine Interessen der heimischen Flora und Fauna, den Sitten und Lebensgewohnheiten der Bensheimer sowie der heimischen Mundart. Er verfasste die „Bensheimer Sprachschatzballade“. Das Kapitel „Wörter hebräischen oder jüdischen Ursprungs in der Bensheimer Mundart“ in Ludwigs Hellriegels „Geschichte der Bensheimer Juden“ aus dem Jahr 1963 geht maßgeblich auf Gustav Zwissler zurück. Von 1929 bis 27. Mai 1933 verwaltete er ehrenamtlich das Archiv der Stadt Bensheim. Die Vergütung stiftete er dem Schwimmbad-Bauverein.

Aus Zwisslers Tätigkeit als Waidmann resultierte der Kontakt zu Siegfried Hiller (1900-1942), der nebenberuflich als Tierpräparator arbeitete. Von Hans Sternheim wissen wir, dass Zwissler den als Juden verfolgten Hiller unterstützte: „So setzte er sein Leben aufs Spiel, als er die Hiller-Adler-Familie in der Kasinostraße durch heimlich zugesteckte Lebensmittelpakete vor dem frühen Hungertod schützte.“ Am Vorabend ihrer Deportation wollte Ida Hiller (1904-1942) ihm als Zeichen der Dankbarkeit Schmuck anbieten. „Aber Gustav Zwissler hat es nicht angenommen und die schwere Schuld von vielen auf seine damals selbst nicht mehr jungen Schultern treulich gelegt.“

Gustav Zwissler starb am 31. Dezember 1973 in seiner Heimatstadt Bensheim.

(Franz Josef Schäfer)

Hans Sternheim (1900-1983) – „Und dennoch bin ich ein Sohn der Stadt“

Um 1900 lag der Anteil der jüdischen Schüler am Bensheimer Gymnasium mit etwa 7% deutlich über dem jüdischen Bevölkerungsanteil im Einzugsgebiet der Schule. In der Bildungsnähe der jüdischen Familien sahen Teile der nicht-jüdischen Bevölkerung eine Bedrohung durch eine Minderheit, die sich anschickte, die Schlüsselpositionen der Macht in Wirtschaft und Politik zu erringen. Die NS-Regierung reagierte darauf im April 1933 mit einem Gesetz, das die Aufnahme nichtarischer Schüler auf 1,5% der insgesamt Neuaufzunehmenden und die Gesamtzahl nichtarischer Schüler auf 5% beschränkte.

Als die Reichsregierung am 15. November 1938 nach den Novemberpogromen beschloss, dass es nun keinem deutschen Lehrer und keiner deutschen Lehrerin mehr zugemutet werden könnte, jüdische Schüler zu unterrichten, hatten in Bensheim die letzten jüdischen Schüler das Gymnasium schon seit mehr als zwei Jahren verlassen.

Das wirft Fragen auf: Warum und wohin verließen die jüdischen Schüler das Gymnasium? Lag es auch am Klima in der Schule?

1989 befragte eine Schülergruppe des AKG emigrierte Überlebende, ob sie sich fremd an der eigenen Schule gefühlt hätten. Die befragten ehemaligen Schüler – der letzte von ihnen hatte 1933 sein Abitur abgelegt – reagierten irritiert. Als Fremde hatten sie sich nie empfunden und so seien sie auch nicht behandelt worden. Übereinstimmend berichteten die Befragten, dass es vor 1933 niemals offenes antijüdisches Verhalten von Mitschülern gegeben habe.

Kind armer Eltern

Hans Sternheim konnten die Schüler schon damals nicht mehr befragen; der prominenteste Bensheimer Jude starb am 18. Dezember 1983 in den USA. Geboren wurde er am 22. November 1900 in Heidelberg, wo seine Eltern Rudolf und Helene Sternheim damals erfolglos versuchten, sich mit einer Verkaufsstelle für die Bensheimer Mützenfabrik Thalheimer zu etablieren. Diese Mützenfabrik wurde von Helenes Bruder Max Thalheimer geleitet. 1904 zogen Rudolf und Helene Sternheim mit ihrem Sohn zurück nach Bensheim. Im Ersten Weltkrieg wirkte sein Vater als freiwilliger KrankenpflegerNachdem Hans Sternheim am 11. Februar 1921 die Abiturprüfung bestand, konnte er nicht studieren. Denn seine Eltern waren eigentlich arme Leute. Stattdessen begann er eine Banklehre. Nebenher erschienen erste Artikel im Bergsträßer Anzeigeblatt. 1925 wurde Sternheim dann selbst verantwortlicher Redakteur bei den Weinheimer Nachrichten. Gleichzeitig studierte er in Heidelberg zwei Semester Jura, Wirtschaftswissenschaften und Psychologie.

Dachau und Emigration

Im März 1927 heiratete Hans Sternheim Else Osterberg. Mit seinem Schwiegervater Max Osterberg leitete er in Stuttgart bis 1938 zwei jüdische Verlagshäuser. Am 10. November 1938 wurde Sternheim verhaftet und nach Dachau verbracht. Nach der Freilassung konnte er mit seiner Frau und der am 28. April 1930 geborenen Tochter Edith im März 1939 in die USA emigrieren. Der nun mittellose Hans Sternheim arbeitete dort in verschiedenen Jobs und versuchte, auch publizistisch wieder Fuß zu fassen. Die größte Sorge galt seinen noch immer in Bensheim wohnenden Eltern. Sie mussten 1941 in die ehemalige Juddeschul in der damaligen Hintergasse ziehen. Alle noch in Bensheim verbliebenen Juden wurden in solchen Judenhäusern konzentriert. Dort führten die ehemals angesehenen Mitbürger ein Leben wie Aussätzige mitten unter den Augen aller anderen. Im September 1942 wurden sie nach Theresienstadt deportiert. Hans Sternheims Eltern wurden ebenso wie mindestens 15 frühere Schüler des Bensheimer Gymnasiums Opfer des Holocaust.

Kritischer Beobachter der deutschen Verhältnisse

Trotzdem war Hans Sternheim später bereit, in einen engen Austausch mit seiner ehemaligen Heimatstadt zu treten. 1972 erschien von ihm im Jahrbuch des AKG eine Gedenkschrift für seine Eltern, in der er über die Bräuche der jüdischen Gemeinde in Bensheim berichtet und über das Schicksal des jüdischen Volkes reflektiert. In den Jahren 1972/73 und 1976/77 veröffentlichte er 46 Aufsätze im Bergsträßer Anzeiger. In diesen Erinnerungen und Betrachtungen erweist sich Hans Sternheim als ein aufmerksamer, aber auch kritischer Kommentator des Zeitgeschehens. Er empört sich z.B. darüber, dass 1975 der Prozess Simon Wiesenthals gegen den Bensheimer Holocaust-Leugner Manfred Roeder scheiterte. Entsetzt ist er, dass in der Stadtgeschichte von 1966 die NS-Zeit in wenigen Zeilen abgehandelt wird und die deportierten Juden überhaupt keine Erwähnung finden. Stattdessen sei in dieser Festschrift von den 1500 Displaced Persons in Bensheim wie von Besatzern die Rede. Lobend erwähnt Sternheim, dass nun eine Schule den Namen der Geschwister Scholl und eine Straße den von Wilhelm Leuschner trägt. Und er erzählt vom Gymnasium: Diese meine Schule und viele ihrer Lehrer habe ich nie vergessen. Sie hat meinen Geist und Charakter geprägt, und mir selbst in der ›Neuen Welt‹ geholfen, einem harten Neubeginn mit dem klassischen Stoizismus zu begegnen, der, mit vielem anderen, im Bensheimer Gymnasium gelehrt wurde. Mit besonderer Verehrung erinnert er sich an seinen 1973 verstorbenen Lehrer Gustav Zwissler. Dieser sei nie ein Nazi, sondern immer Humanist gewesen und habe Juden in Notsituationen geholfen.

Hans Sternheim zeichnet von seiner Schule ein ungemein positives Bild. Von Antisemitismus findet sich kein Wort. Das frühe Verschwinden der jüdischen Schüler nach 1933 bleibt somit ähnlich unerklärt wie die Verhaltensänderung der Nachbarn, die von einem Tag auf den anderen seine Mutter nicht mehr kannten. Was uns von Hans Sternheim aber bleibt, ist sein optimistischer Blick, der sich aus der Vergangenheit in unsere Gegenwart und Zukunft richtet. Und es ist vor allem seine humanistische Haltung, wie sie in den Worten der Antigone hervortritt, die Hans Sternheim zitiert: Nicht mitzuhassen – mitzulieben bin ich da!

(Hannes Pahlke)

Dr. Heinrich Breidenbach – Leiter des Gymnasiums Bensheim in der NS-Zeit

Im Jahre 1947 wurde vom „Ausschuß politischer Parteien“ über den Leiter des Gymnasiums Bensheim wie folgt geurteilt: „Heinrich Breidenbach wird allgemein als überzeugter und fanatischer Nazi bezeichnet. Er ist bereits im Jahre 33 der NSDAP beigetreten und dürfte aufgrund seiner Parteizugehörigkeit Direktor des Gymnasiums Bensheim geworden sein. Bei Schulfeiern hat er sich in seinen Reden ganz besonders für die nationalsozialistischen Ideen eingesetzt.“

Laufbahn eines Nazis

Breidenbach, am 20. März 1876 in Eberstadt als Sohn des Lehrers Jacob Breidenbach und seiner Ehefrau Dorothea Eysenbach geboren, übernahm die Leitung des Gymnasiums Bensheim am 16. August 1933. Seine Dissertation „Zwei Abhandlungen über die tironischen Noten“ erschien 1900 im Verlag Schlapp in Darmstadt. Von 1904 bis 1925 unterrichtete er Klassische Philologie an der Oberrealschule bzw. am Gymnasium Worms und anschließend am Ludwig-Georgs-Gymnasium Darmstadt. Die Beförderung zum Oberstudiendirektor verdankte Breidenbach, seit 31. Mai 1933 NSDAP-Mitglied und von 1934 bis 1940 SA-Mitglied, politischer Protektion.

In seiner Antrittsrede stellte er die nazistischen Erziehungsvorstellungen von „körperlicher Ertüchtigung, geistiger Entwicklung mannhafter Tugenden und Wissen im neuen Geiste“ heraus. Das Gymnasium wolle nicht Griechen und Römer, sondern deutsche Menschen schaffen und erziehen. Dem Volke gelte das Leben, die Betonung des eigenen Ichs führe zum Tode.

Katholische Schüler verlassen das Gymnasium

Zahlreiche Gymnasialschüler lebten als Internatsschüler im Bischöflichen Knabenkonvikt oder im Fidelis-Kolleg. Sie verhinderten eine vollständige Nazifizierung des Schullebens, so dass dem Gymnasium Bensheim als einziger hessischer Schule keine HJ-Fahnen verliehen wurden. Bereits 1933, so die Aussage des Präfekten aus dem Kapuziner-Orden, Pater Otto Weber (1897-1972), im Spruchkammerverfahren, habe Breidenbach verlangt, dass die einhundertzwanzig Schüler des Fidelis-Kollegs geschlossen der HJ Bensheim beitreten sollten. P. Otto sah sich veranlasst, 1935 eine Klasse von zwölf Schülern ein Jahr vor dem Abitur abzumelden, „um sie vor dem HJ-Geist zu bewahren, den ihnen Dr. Breidenbach beibringen wollte.“

Sechs Oberstufenschüler besuchten 1933 den Reichsparteitag in Nürnberg. „Der 30. Januar [1934] als Geburtstag der Nationalen Erhebung bot dem Direktor Gelegenheit, die Zeit vor 1933 den Erfolgen des 1. Jahres des 3. Reiches gegenüberzustellen.“ Am 1. Mai 1934 stiftete Breidenbach der Schule eine Fahne.

Der Lehrkörper 1936 (Bild: Universitätsbibliothek Giessen)

In seiner Begrüßungsansprache zur 250-Jahrfeier des Gymnasiums am 2. Juni 1936 bezeichnete Breidenbach die Hitlerjugend als gleichberechtigten Erziehungsfaktor neben der Schule. Seine Festrede enthielt Sätze wie z.B.: „Heute wissen wir, daß das Deutschland der Zukunft nur nationalsozialistisch sein kann oder es wird überhaupt nicht sein. – Unsere Zukunft als Staat und Volk steht und fällt mit dem Nationalsozialismus.“ An Hitler sandte Breidenbach während der Festwoche ein Telegramm, das ein Treuegelöbnis enthielt. Angeblich habe der Redner mit solchen Bekenntnissen das Humanistische Gymnasium vor einer Umwandlung in eine „Oberschule“ bewahren wollen.

Noch 1944 stellte Breidenbach, von den Schülern „Zeus“ genannt, im Griechischunterricht Parallelen zwischen Hellenentum und NS-Zielen heraus, unter Bezugnahme auf die Spartaner.

Allerdings ließ Breidenbach Kollegen, die keine Nazis waren, unbehelligt. Denunziationen kamen im Kollegium kaum vor.

1945: Ruhegehalt eines Oberstudienrats

Vor der Spruchkammer betonte Breidenbach, dass er lediglich seine Pflicht als Beamter getan habe. Vieles habe ihm nicht gepasst, etwa die Heranziehung von Siebzehnjährigen als Luftwaffenhelfer.

Wegen seines Alters wurde Breidenbach in Gruppe III, Minderbelastete, eingestuft. Er wurde in den Ruhestand versetzt mit dem Ruhegehalt eines Oberstudienrates.

Bemerkenswert ist ein Eintrag in der Chronik des Fidelis-Kollegs vom 23. Dezember 1948. Breidenbachs Nachfolger, Dr. Leo Kozelka (1893-1989), berichtete über die missliche Lage Breidenbachs und bat Pater Otto, er möge diesen in der Privatschule beschäftigen, was jedoch auf Ablehnung stieß.

Im April 1949 wurde in Folge von Breidenbachs Antrag auf Begnadigung die restliche Bewährungszeit erlassen und eine Einstufung in Gruppe IV, Mitläufer, vorgenommen. 1949 verlegte der frühere Schulleiter seinen Wohnsitz von der Ernst-Ludwig-Straße 11 nach Darmstadt, Dieburger Straße 5.

Aus seiner Ehe mit der 1883 in Lausanne geborenen Lea Herf gingen die Kinder Norbert und Ingeborg hervor. Nach dem Tod seiner Frau heiratete er am 12. Oktober 1935 die Witwe Emma Maria Franck, geb. Stein (1881-1968), von der er sich am 7. Mai 1940 scheiden ließ. Im selben Jahr heiratete er die Darmstädterin Barbara Auguste Thiele, geb. Krämer (1897-1970).

Dr. Heinrich Breidenbach, der auch in der NS-Zeit seine Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche aufrecht erhalten hatte, starb am 15. April 1960 in Darmstadt.

(Franz Josef Schäfer)

Dr. Fritz Bockius (1882–1945) – Reichstagsabgeordneter für die Zentrumspartei von 1924-1933

Berlin. 23. März 1933, kurz nach 19 Uhr: Hermann Göring ruft als Präsident des Reichstages das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, besser bekannt als Ermächtigungsgesetz, zur Abstimmung auf. In den Beratungen zuvor hatte sich Otto Wels für die SPD zu den Grundsätzen des Rechtsstaates, der Gleichberechtigung, des sozialen Rechtes, (…) den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit bekannt. Wie würde sich das Zentrum, das zusammen mit der SPD die Weimarer Republik lange Zeit getragen hatte, in dieser Abstimmung verhalten? Eines der führenden Mitglieder der Reichstagsfraktion des Zentrums war Fritz Bockius, ehemaliger Schüler am Bensheimer Gymnasium, dem heutigen AKG.

Abitur im Jahr 1900

50 Jahre zuvor: Fritz Bockius wird als fünftes Kind streng gläubiger katholischer Eltern am 11. Mai 1882 in Bubenheim geboren. Bubenheim lag damals in der zu Hessen gehörenden Provinz Rheinhessen. Nach der achtjähriger Volksschule in Bubenheim besuchte Fritz auf Rat des örtlichen Pfarrers zunächst das Progymnasium in Dieburg, später das Gymnasium in Bensheim. Nach dem Abitur im Jahr 1900 studierte Bockius in Mainz sieben Semester  katholische Theologie. Der Weg zum Priester war vorgezeichnet. Bockius fühlte sich jedoch immer weniger dazu hingezogen, brach sein Theologiestudium ab und studierte zunächst Philosophie in Gießen. Das sagte ihm jedoch ebenfalls nicht zu, so dass er schließlich Jura studierte und 1908 die juristische Staatsprüfung bestand. Im gleichen Jahr promovierte er über Die strafrechtliche Bedeutung der internationalen Verträge über das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst.

Für die Zentrumspartei im Reichstag

Bockius ließ sich 1912 als Rechtsanwalt in Mainz nieder. Sein Engagement für die Anliegen sozial schwacher Schichten ließen ihn schnell zu einem gefragten und gesuchten volkstümlichen Strafverteidiger werden. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wandte sich Dr. Bockius der Politik zu, die Zentrumspartei wurde für ihn zur politischen Heimat. Ab 1919 vertrat er diese Partei als Abgeordneter im Kreistag, 1920 wurde er zum Landesvorsitzenden der hessischen Zentrumspartei gewählt. Ab 1924 war Dr. Bockius Reichstagsabgeordneter der Zentrumspartei.

Nachdem die NSDAP bei den Reichstagswahlen 1930 zweitstärkste Kraft im Reichstag geworden war, versuchte Reichskanzler Heinrich Brüning (Zentrum) die Möglichkeit einer Kooperation mit der NSDAP auszuloten. Hessen bot sich als Experiment an, da dort Landtagswahlen ins Haus standen. Fritz Bockius wurde beauftragt, den Kontakt zur NSDAP in Hessen herzustellen, wofür er gut geeignet schien, da sein Verhandlungspartner bei der NSDAP, Dr. Werner Best, vier Jahre lang in Bockius’ Mainzer Notariat gearbeitet hatte. Mitten in die Verhandlungen platzten allerdings die Boxheimer Dokumente – benannt nach einem kleinen Gut zwischen Bürstadt und Lampertheim: Sie enthielten Putschpläne der NSDAP, konterkarierten so deren Legalitätskurs. Autor dieser Dokumente war Werner Best, Bockius’ Gesprächspartner, sodass weitere Sondierungen nicht denkbar waren, schon deswegen nicht, weil gegen Best anschließend wegen Hochverrats ermittelt wurde.

Erst als 1932 die NSDAP bei den Landtagswahlen in Hessen mit 44% stärkste Partei wurde, kam es erneut zu Verhandlungen, an deren Ende am 13. März 1933 – 10 Tage vor dem Ermächtigungsgesetz – der NSDAP-Politiker Ferdinand Werner mit den Stimmen des Zentrums zum neuen Staatspräsidenten Hessens gewählt wurde.

Als der am 30. Januar 1933 von Reichspräsident von Hindenburg zum Reichskanzler ernannte Adolf Hitler trotz der Terrormaßnahmen der sogenannte Reichstagsbrandverordnung bei den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 mit der NSDAP die absolute Mehrheit verfehlte, legte er dem Reichstag das sogenannte Ermächtigungsgesetz vor. Es sollte das Parlament ausschalten, die Verfassung de facto außer Kraft setzen und der Reichsregierung, also Hitler, die Macht im Staat übertragen.

Gegner des Ermächtigungsgesetzes

In der Sitzungspause wurde auch in der Zentrumsfraktion diskutiert: Ebenso wie der ehemalige Reichskanzler Dr. Heinrich Brüning bezog auch Fritz Bockius gegen das Ermächtigungsgesetz Stellung und kündigte seine Weigerung an, dem Gesetz seine Zustimmung zu erteilen. Die Mehrheit in der Zentrumspartei war aber bereit, dem Gesetz zuzustimmen. Letzten Endes unterwarfen sich Brüning, Bockius und alle anderen parteiinternen Kritiker dem Fraktionszwang und stimmten wider ihre Überzeugung mit Ja.

Nachdem sich das Zentrum auf Druck der NSDAP am 5. Juli 1933 als letzte Partei selbst aufgelöst hatte, widmete sich Fritz Bockius wieder seiner Anwaltskanzlei in Mainz. Als ehemaliger Zentrumspolitiker wurde er nun jedoch von vielen Klienten gemieden. Seit Februar 1942 vertrat Bockius mehrmals pro Woche den Bensheimer Rechtsanwalt und Notar Albrecht Hartmann in dessen Bensheimer Kanzlei. Als nach einem Fliegerangriff 1942 das Haus der Familie Bockius in Mainz zerstört wurde, siedelte er mit seiner Familie nach Bensheim um.

1944 im KZ

Nach dem gescheiterten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 ließ das NS-Regime in der Aktion Gewitter ehemalige Angehörige der demokratischen Parteien der Weimarer Republik inhaftieren, darunter auch Fritz Bockius, der am 23. August 1944 um 5.30 Uhr morgens verhaftet wurde und in das Rundeturmgefängnis in Darmstadt gebracht wurde. Im Dezember 1944 wurde Bockius zunächst in das KZ Sachsenhausen-Oranienburg verlegt, im Februar 1945 in das KZ Mauthausen, wo er am 5. März 1945 starb.

Mit einem Denkmal vor dem Berliner Reichstag wird an die 96 von den Nationalsozialisten zwischen 1933 und 1945 ermordeten Reichstagsabgeordneten erinnert. Wer die Namen durchliest, stellt schnell fest, dass fast alle Opfer den linken Parteien SPD oder KPD angehörten, nur 10 Opfer waren Mitglieder bürgerlicher Parteien. – Fritz Bockius war eines von ihnen.

(Andreas Brückmann)

Bernhard Steiner – Direktor des Alten Kurfürstlichen Gymnasiums von 1961 bis 1979

Seit der Novemberrevolution 1918 hat kein Direktor so lange am Gymnasium gewirkt wie Bernhard Steiner. Und es ist nicht untertrieben zu behaupten, dass unter seiner Leitung auch die größten Veränderungen seit dem Umbau von der Lateinschule zum Gymnasium, also seit 1804, vollzogen wurden. Schon deswegen muss Bernhard Steiner hier vorgestellt werden.

Der 1913 in Schlesien geborene Bernhard Steiner stammte aus einer katholischen Familie. Er hatte vier Geschwister und eine „riesige Verwandtschaft, alles Bauern mit großen Bauernhöfen“, wie er der AKG-Schülerzeitung „Zeitpunkt“ 1979 kurz vor seiner Pensionierung in einem Interview mitteilte. Er gehörte der katholischen Jugend an, hatte deswegen unter den Nazis immer wieder Probleme. Deswegen, so Steiner im Interview, sei er „nie in die Versuchung (gekommen), in die HJ zu gehen“.

1943 wegen politischer Unzuverlässigkeit aus der Wehrmacht entlassen

Nach dem Abitur studierte Steiner Philosophie. Dieses Studium musste er zunächst wegen des Krieges abbrechen. Der ehemalige AKG-Lehrer Harald Czinczel schrieb 1986 in einer Würdigung Steiners, er sei „1943 (…) als Oberleutnant wegen politischer Unzuverlässigkeit aus der Wehrmacht entlassen“ worden. Nach dem Krieg nahm Steiner das Philosophiestudium wieder auf und wurde Assistent an der philosophischen Fakultät der Universität Mainz. Weil die Berufsaussichten für Philosophen schlecht waren, studierte Steiner zusätzlich Latein, Geschichte und Politik. Als Lehrer war er dann in Bad Homburg, Darmstadt und Waldmichelbach tätig.

Ein Schulleiter mit Charisma

Bernhard Steiner löste 1961 Leo Kozelka in der Schulleitung ab. Was veränderte sich dadurch am AKG? Sicherlich waren es Ordnungsvorstellungen. Während von Kozelka behauptet wird, er habe in der Pause nur an das zum Schulhof hin geöffnete Fenster treten müssen, und schon hätten alle Schüler auf dem Schulhof geschwiegen, so war es gar nicht Steiners Anspruch, diese Form von Autorität auszustrahlen. Harald Czinczel, in den 1970er Jahren Vertrauenslehrer am AKG, erinnert sich daran, dass auch Steiner manchmal „erregt und zornig“ eine Schülerversammlung „zusammen(schrie)“. Aber das geschah dann als Ausdruck einer persönlichen Anteilnahme, die keine Verbindung mit der Amtsautorität eingehen sollte. Czinzel spricht davon, dass sowohl Lehrer als auch Schüler, und auch die Eltern, die Ausstrahlung Steiners – „seine jugendliche Vitalität, seine Risikobereitschaft, seine Ich-Stärke, kombiniert mit einem religiös fundierten, optimistischen Weltverständnis“ – zu schätzen wussten.

Was veränderte sich noch? Die pure Größe der Schule. Zu Beginn der Amtszeit Steiners besuchten das AKG 458 Schülerinnen und Schüler. Am Ende seiner Amtszeit, 1979, waren es 1773 Schülerinnen und Schüler. Damit hatte das AKG beinahe seine maximale Größe von 1841 Schülerinnen und Schülern erreicht. Nach 1981 wurde die Schule, von gewissen Schwankungen abgesehen, wieder kleiner.

Was heißt „Schülerinnen und Schüler“? 1961 hatten gerade einmal 2 (in Worten: zwei!) Mädchen das AKG besucht. Unter Kozelka waren Mädchen nur dann zugelassen worden, wenn sie die alten Sprachen, Latein und Griechisch, lernen wollten. Bernhard Steiner hieß Mädchen grundsätzlich willkommen, so dass der Mädchenanteil kontinuierlich stieg. 1979 besuchten 580 Mädchen das AKG; damit bildeten sie ein knappes Drittel der Schülerschaft.

Umzug in die Wilhelmstraße

Und das Gebäude? Auch in dieser Hinsicht veränderte sich das AKG unter Steiner entscheidend. 1966 zog das AKG aus seinem angestammten Gebäude in der Darmstädter Straße – heute Kirchberg-Schule – aus und in das Seminargebäude an der Wilhelmstraße ein, wo damals Goethe-Gymnasium und Aufbaugymnasium untergebracht waren. Während für diese Schulen später Neubauten errichtet wurden, blieb das AKG in einem – seit den 1970er Jahren mit Anbauten versehenen – „alten“ Gebäude, das seinem Namen eine architektonische Rechtfertigung gab.

Welche Bedeutung hatten die alten Sprachen? Leo Kozelka versuchte nach dem zweiten Weltkrieg – in gewisser Weise verzweifelt –, den unter den Nationalsozialisten vollzogenen Umbau des Gymnasiums zu einer Oberschule rückgängig zu machen. „Oberschule“ bedeutete Abkehr vom altsprachlichen Schwerpunkt, Hinwendung zu dem, was man bis dahin eigentlich mit dem Begriff „Realgymnasium“ verband: Moderne Fremdsprachen, Naturwissenschaften sollten stärker in den Mittelpunkt rücken. Bei den Nazis kam da noch die ideologische Unterweisung im Sinne der rassistisch definierten Volksgemeinschaft hinzu. Tatsächlich ist es Kozelka nach 1945 nicht gelungen, die „Oberschule“ in ein rein altsprachliches Gymnasium zurückzuverwandeln. Eine größere Nachfrage bestand nach dem neusprachlichen Zweig. Steiner sprach 1979 selbst davon, dass unter seiner Leitung das AKG auch innere Veränderungen durchgemacht habe. Er sagte, „dass wir nicht mehr ein humanistisches Gymnasium sind“. Latein und Griechisch wurden zwar weiterhin angeboten, waren aber nur noch ein Angebot unter anderen.

Skeptisch gegenüber Schulreformen

Bernhard Steiner war durch und durch ein Schulmensch, einerseits konzeptionell denkender Direktor, andererseits Pädagoge, der gerne unterrichtete – im Interview sagte er: „mehr als ich muß“. Darüber hinaus war er als gewählter Sprecher der hessischen Direktoren in der Schulpolitik aktiv. Während er gegenüber der um 1980 heiß diskutierten Förderstufe eher resignativ auftrat – im Interview bedauerte er nur, dass sie an Grundschule oder Gesamtschule und nicht ans Gymnasium angebunden werden sollte – , so war er doch ein entschiedener Gegner der von der hessischen Schulpolitik verordneten Neuerungen. Czinczel schreibt, Steiner habe „Gesamtschule, Rahmenrichtlinien, Reform der Oberstufe (…) nur als Bedrohung“ verstanden. Damit stand Steiner übrigens in einer langen Tradition. Alle Schulleiter seit der Novemberrevolution von 1918 empfanden die vom Staat ausgehenden Reformen des Schulwesens als Bedrohung. Insofern war das AKG zumindest in seiner Leitung immer eine konservative Schule.

Bernhard Steiner war kein langer Ruhestand vergönnt. Er starb ein halbes Jahr nach seiner Pensionierung am 22. Februar 1980. (Matthias Gröbel)

Siehe auch „Tafel 10: Das Gymnasium in der Ära Steiner“ der Ausstellung „325 Jahre AKG“!

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