Die Deutsch Theater AG führt „Der Talisman“ von J. N. Nestroy auf
Die Bühne ist dunkel, aus den Lautsprechern ertönt „Der Fuchs geht um“. Dann wechselt die Musik. Zum Beat von „Atemlos durch die Nacht“ tanzen alle über die Bühne. Nur die „Füchse“ Titus und Salome bleiben ohne Partner. Das Grundproblem wird offenbar: Mit Rothaarigen will niemand etwas zu tun haben. Sie gelten als berechnend, bösartig, hinterlistig. Wie der Fuchs eben. Eigentlich sind sie füreinander bestimmt und Salome (Katherina Wehmann) erkennt das auch sofort: Wenn sie Titus (Carlo Leggieri) mit glänzenden Augen ansieht, geht es dem Zuschauer durch Mark und Bein. Die jüngste in der Truppe zeigt mit dreizehn Jahren eine große Leidenschaft und eine große Begabung: Fürs Schauspiel und für die Liebe.
Doch Titus weiß: Ohne Geld haben beide keine Chance in einer Gesellschaft, die Rothaarige ausgrenzt. Da kommt ihm das Schicksal zur Hilfe: Er rettet Marquis, einem Perückenmacher, das Leben und dieser schenkt ihm zum Dank einen Talisman, der es ihm ermöglicht, sich von seinem Makel zu befreien. Durch eine Perücke verwandelt sich Titus in einen schwarzlockigen Latin Lover, verkörpert durch Nelio Eberlein. Wie dieser mit seinem schmierigen Charme eine Witwe nach der anderen weich kocht, ist großartig anzusehen. Zuerst macht er sich an Flora (Laura Gensheimer), die Gärtnerin, heran. Mit ihrem blumigen Kleid und den dazu passenden Gummistiefeln verkörpert sie überzeugend die nach Zärtlichkeit dürstende Witwe. Dass Titus dabei ihren Liebhaber Plutzerkern ins Abseits stellt, stört zunächst niemanden. Zu dumm und ungelenk ist dieser doch: Ben Leenen schöpft hier sein ganzes Repertoire an schauspielerischer Erfahrung aus. Aber natürlich ist die Gärtnerin nur die erste von einer Reihe an Witwen, die getröstet werden wollen. Auf Flora folgt die Constantia, die Kammerfrau (herrlich hochnäsig gespielt von Alena Schneider). Allerdings begeht Titus hier einen fatalen Fehler: Er provoziert Constantinas Liebhaber, eben jenen Perückenmacher, der ihm den „Talisman“ vermacht hat. Lukas Kohl, mit einer überdimensionalen gelben Schere als Attribut, spielt den Figaro mit großer Leidenschaft. So weit geht seine Dankbarkeit dann doch nicht, dass er sich die Geliebte ausspannen lässt. Als Titus schläft, entreißt ihm dieser die schwarzhaarige Perücke. Um eine Entdeckung zu vermeiden, greift Titus sich in der Dunkelheit wahllos eine Perücke – versehentlich eine blonde. Nun ist er also nicht mehr schwarzhaarig und Nelio Eberlein tauscht die Rolle mit Mina Günther. Zugleich mit der Haarfarbe wird er zum Intellektuellen: Das spielt Mina Günther wunderbar heraus: Ein androgyner Hochstapler vom Typ Felix Krull. Damit gefällt er/sie Frau von Zypressenburg, die sich für eine Schriftstellerin hält und auf die blonden Haare und die Scheinbildung hereinfällt. Distinguiert und distanziert gibt Vivienne Raepple die Landadlige, die sich für etwas Besonders hält und doch keinen Deut besser ist als ihre Untergebenen. Schnell verfällt sie Titus und als dieser die Entlassung der beiden Vorgängerinnen fordert, um seine Entdeckung zu verhindern, schickt sie ihre Tochter Emma (Patricia Schlosser, herrlich kindlich und mit roten Schleifen im Haar wie aus einem Instagram Profil gesprungen), Flora und Constantina die Entlassung mitzuteilen. Da fliegt der Schwindel auf: Der blonde Titus wird wieder zum Rothaarigen und Carlo Leggieri ist zurück auf der Bühne. Obwohl er vom Hof gejagt wird – oder gerade deshalb – gehören ihm die Herzen der Zuschauer. Ihm bleibt nichts als eine graue Perücke, die er Flora gestohlen hat. Und mit dieser grauen Perücke gelangt er unerwartet zu einer großen Erbschaft: Spund, ein reicher Verwandter, lässt sich von den falschen Haaren täuschen und will ihn zum Universalerben einsetzen. Souverän spielen Jonas Schäfer und Dana Brückner Onkel und Neffen: Mit Monokel und Zylinder der eine, die andere mit grauer Perücke und grandioser Mimik. Jetzt würden ihn alle nehmen, sogar mit roten Haaren, den reichen Titus.
Aber natürlich will er nur eine: Salome, die ihn von Anfang an so geliebt hat, wie er ist. Der Zuschauer freut sich über das schöne Paar. Etwas arglos vielleicht, denn wie es Hans Schuller im Programmheft schreibt: „In der Musik nennt man wohl eine solch unerwartete harmonische Auflösung harmonischen Trugschluss. Klingt gut, aber astrein ist es nicht…“
Das Publikum – arglos oder nicht – ist in jedem Fall begeistert. Vom Tempo der Inszenierung. Von der Spielfreude, die bis in die Nebenrollen zu sehen ist: Etwa, wenn Zoe Homa den Burschen und Kevin Gensheimer den Knecht und beide abwechselnd alle übrigen Rollen spielen und in kurzer Zeit Kostüme wechseln.
Und von den Regieideen. Die beste vielleicht, die Rolle des Titus auf vier Personen aufzuteilen und die Wechsel als Kampf mit tödlichem Ausgang zu inszenieren. Aber auch die kleinen Gags, etwa wenn die Schüler Reminiszenzen an ihren geliebten Regisseur ins Theaterstück eingebaut haben, lösen Szenenapplaus aus. Überzeugend auch der Verzicht auf viele Requisiten oder Bühnenaufbau: Ein Besen, Korb und Schere sind völlig ausreichend, wenn so viel Spielfreude dazu kommt. Natürlich wäre nicht viel davon zu sehen ohne den souveränen Einsatz des Lichts durch die Event-AG (Julius Leidel, Konstantin Knop).
Ein atemloser Abend, der die Zuschauer grandios unterhalten hat. Der wieder gezeigt hat, dass Schülertheater alles andere als langweilig sein kann. Und der vielleicht manchen darüber nachdenken lässt, welche Rolle die Haarfarbe, die Hautfarbe oder der Nachname spielt. Denn an die harmonische Auflösung durch eine vorurteilsfreie Gesellschaft glaubt wohl keiner. Denn das wäre wohl ein (gesellschaftlicher) Trugschluss.
Florian Krumb





