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Klassiker von Arthur Miller über einen Hexenprozess

Von Thomas Tritsch (im BA vom 29.6.2023)

 

Das war künstlerische Schwerstarbeit: Über zwei Stunden hat sich das Ensemble der Englisch-Theater-AG am Alten Kurfürstlichen Gymnasium durch ein dialogreiches und inhaltlich komplexes Gerichtsdrama gekämpft, ohne sprachlich oder darstellerisch zu schwächeln.

Die jüngste Eigenproduktion der Truppe um Leiter und Regisseur Florian Krumb ist eine zeitlose Warnung vor Aberglauben, Rache und Machtgier – und führt vor, wie tödlich ein von Angst genährter Wahn sein kann.

Mit „The Crucible“ aus dem Jahr 1953 hat Arthur Miller eine nach wie vor gültige Parabel über die ewigen Dämonen ideologischer Verblendung geschrieben, in der Gegner satanisiert und verfolgt werden. Ein aktuelles Stück, das seine historischen Wurzeln in den Hexenprozessen schottisch-englischer Puritaner im Jahr 1692 in Salem, Massachusetts, findet, wo über 20 Frauen und Männer hingerichtet wurden.

 

Mörderische Hysterie

Die universale Qualität von Millers Variante offenbart sich in den amerikanischen Kommunistenprozessen unter McCarthy der 50er Jahre bis zu den bigotten Trump-Anhängern aus der allerjüngsten Vergangenheit. Es geht um mörderische Hysterie, denkfaulen Fundamentalismus und eine Flucht in konstruierte Verschwörungstheorien.

Miller zeigt die fragilen Säulen der amerikanischen Demokratie und warnt, dass der kollektive Irrsinn jederzeit wieder ausbrechen kann. Ein Lehrstück mit dickem Zeigefinger – mit elementaren Botschaften gerade für junge Menschen. Kein Zufall, dass „Hexenjagd“, so der deutsche Titel, zur klassischen Unterrichtsliteratur gehört.

Das Publikum im voll besetzten AKG-Speichertheater erlebte eine schlüssige, sauber gespielte Inszenierung, die sehr genau dem Original folgt. Mit dramaturgischer Präzision und einem dramatischen Aufbau, der die Zuschauer immer wieder ins Geschehen hineinzieht und das bald absehbare Ende ankündigt.

 

Die Bühne kommt, wie so häufig im AKG-Theater, mit dem Nötigsten aus: ein paar Stühle und ein Tisch vor schwarzer Kulisse, die sorgsam ausgeleuchtet und bisweilen in ein teuflisch grelles Licht getaucht wird.

Die Darstellerinnen sind fast alle hochgeschlossen in Schwarz gekleidet. Abigail Williams’ (Dana Brückner) rote Strümpfe scheinen eine besondere Position zu signalisieren: Die anfangs durchaus diabolisch wirkende Nichte des Pastors Parris (Julian Kärchner), der eine Handvoll nackter, junger Mädchen nachts beim okkulten Ritualen im Wald beobachtet, versucht die Frau des Bauern John Proctor (intensiv: Ben Niclas Leenen) wegen Hexerei an den Galgen und sich selbst ins Bett des Pflanzers zu bugsieren.

Proctor gesteht zwar, dass er mit Abigail einst Ehebruch begangen hat, doch er lässt sich lieber aufhängen, als gegen Wahrheit und Gewissen vorzugeben, dass er sich mit dem Teufel eingelassen habe. Der Teufelsspezialist Pastor Hale (Mia Ysabell Seyfarth) soll in Salem göttlichen Frieden schaffen, doch unter seinem Druck beschuldigt Abigail andere der bösen Zauberei, um selbst den Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Trotz vieler Zweifel und wackligen Aussagen bleiben Kirche wie Justiz starr, um nicht an Autorität zu verlieren. Die Ereignisse überschlagen sich, es gibt kein Zurück mehr. Damit die vermeintlich unfehlbaren Institutionen ihr Gesicht nicht verlieren, werden unschuldige Menschen zum Tode verurteilt. Nur Hale erkennt das gefährliche Spiel. Doch beim Versuch, Leben zu retten, muss er verzweifelt erkennen, dass er gegen den Wahn nicht ankommen kann.

 

Fokussiertes Spiel

Die Aufführung nimmt sich viel Zeit, um die Geschichte zu erzählen. Das Spiel selbst wirkt reduziert und fokussiert. Die Bühne erscheint als dunkler Raum mit klaustrophobischer Atmosphäre, wo die jungen Frauen als von schwarzen Mächten Getriebene in einer Angstmaschine gefangen sind. Das Ensemble inszeniert konzentriertes, fesselndes und hochemotionales Theater im Stile eines spannungsgeladenen Kammerspiels und verzichtet dabei auf jede Art Mätzchen und zeitgeistige Anspielungen, die ja im Grunde auf der Hand lägen.

Doch diese schnörkellose Produktion zeigt auch ohne bemühte Gegenwartsbezüge, wie stark und aktuell Millers Stoff tatsächlich ist. Hass und Betrug, Skrupellosigkeit und Fanatismus, Paranoia und Dummheit eskalieren immer wieder in hemmungsloser Brüllerei und Ausbrüchen von kreischender Massenhysterie.

Das passt ins puritanische Neuengland ebenso wie ins Trash-TV der 1990er Jahre oder in die sozialen Medien, wo der moderne Mainstream-Mensch sekündlich zwischen Eitelkeit und Empörung hin- und her mäandert.

 

Auch die weiteren Rollen sind treffend besetzt: Lilly Hechler als Elisabeth Proctor, Hannah Katzenmeier als selbstgerechter Richter Danforth, Sina Ruff als denunziatorische Ann Putnam sowie Antonia Thomas als karibische Sklavin Tituba und Caroline Arndt als Betty Parris, die am Tag nach dem nächtlichen Vorfall an einer mysteriösen Krankheit leidet.

Außerdem spielen Zoe Deepa Bauer, Lucy Brückner, Minea Sieben, Gökcen Ertugul und Florian Krumb. Zum Stab der AKG-Theatercrew gehören die Regieassistentin Melanie Meyer sowie Sebastian Meyer und Julius Leidel (Licht und Ton).

 

Weitere Aufführungen finden am 29.6. und 30.6. jeweils um 19.30 Uhr statt.
Der Eintritt ist frei, Spenden sind erwünscht.

 

Bilder: F. Krumb

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