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Heidelberger Fotografin besuchte den Kunstunterricht

 

Nein, es war kein echter Rembrandt, den Sabine Arndt am Donnerstag ins Alte Kurfürstliche Gymnasium mitgebracht hatte. Das Kunstwerk stammt von ihr selbst. Aber es atmet den Stil und die Ästhetik des 16. Jahrhunderts. Allein die präzise Lichtführung und die eindrucksvolle Tiefenschärfe spiegelt den malerischen Ansatz dieser Epoche und einem ihrer prominentesten Vertreter. Doch aufgepasst: das Gemälde ist eine Fotografie.

Meisterhaft nutzt die Heidelberger Fotografin die prägnante Symbolik der Renaissance, um die modernen Frauen des 21. Jahrhunderts in diesem malerischen Duktus zu inszenieren. Deren provokante und fordernden Blicke repräsentieren eine neue Generation, die gerade dabei ist, ihre eigene Renaissance zu leben.

 

Stolz und feministisch, bisweilen auch frech und rebellisch gegenüber Konventionen sowie politisch offensiv in ihrer weiblichen Souveränität. So wie damals, als sich Frauen in Europa gesellschaftlich und kulturell emanzipiert hatten und in diesem Kontext in ausdrucksstarken Porträts von Holbein oder Da Vinci festgehalten wurden.

Für den Kunstkurs der Q1-Phase unter der Leitung von Anastasia Schmidt war es ein besonderer Donnerstagmorgen. Die Lehrerin und Kunsthistorikerin hatte die Fotografin zu einer dialogisch geprägten Doppelstunde eingeladen, in der die Oberstufenschüler – eineinhalb Jahre vor dem Abitur – nicht nur viel über die künstlerische Motivation und Biografie der freien Fotografin erfuhren, sondern im direkten Gespräch auch gezielt nachhaken konnten.

Dies war ganz im Sinne des Gastes: „Bleibt mutig und neugierig. Für Kunst muss man brennen“, so Sabine Arndt, die man als einigermaßen umtriebiger Kunstfreund unter anderen durch das Projekt „Lost places – Schlosshotel Heidelberg“, ihren Bildband zum Alten Hallenbad oder ihre Serie „Spielplätze“ kennen könnte, in der sie Plätze in Heidelberg und Mannheim („Linse auf“) auf eine perspektivisch kunstvolle Weise porträtiert. „Ich habe das Glück, Kunst machen zu können“, sagt Arndt, die ihr Geld mit dem eigenen Atelier und vielfältigen Auftragsarbeiten verdient.

 

Unter anderem arbeitet sie für Magazine und Tageszeitungen sowie als professionelle Fotografin mit Schwerpunkt in den Sparten Business- und Produktfotografie. Die kreativen Freiräume, die ihr der Broterwerb seit 15 Jahren schenkt, füllt sie mit einem vitalen schöpferischen Trieb, indem sie Menschen und Gebäude in technischer wie perspektivischer Experimentierlust in Szene setzt.

Architektur und menschliche Gesichter faszinieren sie besonders, wie sie im Kunsttrakt des AKG betont. Seither war sie an über 40 Ausstellungen beteiligt – in der Metropolregion Rhein-Neckar und darüber hinaus. Demnächst stellt Sabine Arndt in Mailand aus. In Mannheim sind ihre Arbeiten unter anderem in der Prince House Gallery, die sie vertritt, sowie beim Kunstverein zu sehen. Dort präsentiert sie auch ihre Renaissance-Suggestion: Altmeisterlich anmutende Porträts, denen im AKG eine besondere Aufmerksamkeit zuteilwurde. In ihrem Atelier im Kreativzentrum „Dezernat 16“ entstanden fotografische Gemälde, die wie eine technische Umkehr von fotorealistischer Malerei augenzwinkernd mit den Genres spielen.

 

Woher die Idee? Eines Tages im Jahr 2019 hatte sie in einem Kulturcafé eine junge Frau mit großen, melancholischen Augen und einem sinnlichen Mund gesehen. Sie erinnerte die Fotografin an „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“, das populärste Gemälde von Jan Vermeers. Sie fragt, ob sie ihr Modell stehen würde – und bekommt ein Ja.

Sie startet eine Serie: Junge Frauen in historisierter Kleidung, den festen Blick auf den Betrachter gerichtet, und kunstvoll inszeniert durch schräg einfallendes „Rembrandt-Licht“, was eine spannungsgeladene und leicht geheimnisvolle Atmosphäre erzeugt. Trotz der retrospektiven Stilistik bleiben zeitgenössische Accessoires wie Piercings oder moderner Ohrschmuck auf dem Bild, um den Gegenwartsbezug nicht zu unterschlagen.

 

Sabine Arndt wurde 1964 in einer Kleinstadt in der Nähe von Ulm geboren und lebt seit 1983 in Heidelberg und Mannheim. Die Landflucht aus dem Schwäbischen führt sie in ein urbanes Umfeld. Sie macht eine Ausbildung zur Reprofotografin, weil ihr das technische Arbeiten damals die Möglichkeit bot, der zunächst milden Angst vor dem Druck der kreativen Freiheit aus dem Weg zu gehen.

Ihr Kurs führt sie bis zur Hochschule für Gestaltung Mannheim, wo sie Ende der 80er Jahre einen Lehrauftrag annimmt. Danach ist sie auch im Bereich Pressefotografie und Journalismus sowie für eine Firma weltweit als Expertin für CAD-Systeme tätig.

„Die Orte und Menschen, die ich mir auswähle, kommunizieren mit mir und geben mir das Motiv, die Strukturen und den späteren Ausschnitt schon vor“, sagt sie in Bensheim. Sabine Arndts Kunstwerke spiegeln einen sehr persönlichen und teilweise auch im engeren Sinne privaten Ansatz. „Diese eine gültige visuelle Wirklichkeit existiert nicht“, betont die Fotografin. Denn bereits der Moment des Auslösens, der Bildausschnitt und die Beleuchtung prägen die Sichtweise und Assoziationen des Betrachters.

 

Neutralität oder Objektivität sind relative Werte. Jedes Foto ist eine Interpretation der Szene, nicht ihre Realität. Sabine Arndts Bilder zeigen nicht die Realität, sie zeigen ein Fragment dieser Wirklichkeit.

Und wann hat ihre Kamera Pause? Bei Sonnenuntergängen! Aber nicht, weil dieses Motiv „kitschig“ oder motivisch ausgeschlachtet wäre: Keine Fotografie könne diesen einen besonderen Moment einfangen und wiedergeben, weil dieser sehr stark vom individuell erlebten Augenblick geprägt sei. Für die AKG-Schüler war diese lebendige wie persönliche Kunststunde auf jeden Fall ein besonderer Termin. Kursfahrten Richtung Mannheim sind nicht ausgeschlossen.

 

Thomas Tritsch

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