Bernhard Steiner – Direktor des Alten Kurfürstlichen Gymnasiums von 1961 bis 1979
Seit der Novemberrevolution 1918 hat kein Direktor so lange am Gymnasium gewirkt wie Bernhard Steiner. Und es ist nicht untertrieben zu behaupten, dass unter seiner Leitung auch die größten Veränderungen seit dem Umbau von der Lateinschule zum Gymnasium, also seit 1804, vollzogen wurden. Schon deswegen muss Bernhard Steiner hier vorgestellt werden.
Der 1913 in Schlesien geborene Bernhard Steiner stammte aus einer katholischen Familie. Er hatte vier Geschwister und eine „riesige Verwandtschaft, alles Bauern mit großen Bauernhöfen“, wie er der AKG-Schülerzeitung „Zeitpunkt“ 1979 kurz vor seiner Pensionierung in einem Interview mitteilte. Er gehörte der katholischen Jugend an, hatte deswegen unter den Nazis immer wieder Probleme. Deswegen, so Steiner im Interview, sei er „nie in die Versuchung (gekommen), in die HJ zu gehen“.
1943 wegen politischer Unzuverlässigkeit aus der Wehrmacht entlassen
Nach dem Abitur studierte Steiner Philosophie. Dieses Studium musste er zunächst wegen des Krieges abbrechen. Der ehemalige AKG-Lehrer Harald Czinczel schrieb 1986 in einer Würdigung Steiners, er sei „1943 (…) als Oberleutnant wegen politischer Unzuverlässigkeit aus der Wehrmacht entlassen“ worden. Nach dem Krieg nahm Steiner das Philosophiestudium wieder auf und wurde Assistent an der philosophischen Fakultät der Universität Mainz. Weil die Berufsaussichten für Philosophen schlecht waren, studierte Steiner zusätzlich Latein, Geschichte und Politik. Als Lehrer war er dann in Bad Homburg, Darmstadt und Waldmichelbach tätig.
Ein Schulleiter mit Charisma
Bernhard Steiner löste 1961 Leo Kozelka in der Schulleitung ab. Was veränderte sich dadurch am AKG? Sicherlich waren es Ordnungsvorstellungen. Während von Kozelka behauptet wird, er habe in der Pause nur an das zum Schulhof hin geöffnete Fenster treten müssen, und schon hätten alle Schüler auf dem Schulhof geschwiegen, so war es gar nicht Steiners Anspruch, diese Form von Autorität auszustrahlen. Harald Czinczel, in den 1970er Jahren Vertrauenslehrer am AKG, erinnert sich daran, dass auch Steiner manchmal „erregt und zornig“ eine Schülerversammlung „zusammen(schrie)“. Aber das geschah dann als Ausdruck einer persönlichen Anteilnahme, die keine Verbindung mit der Amtsautorität eingehen sollte. Czinzel spricht davon, dass sowohl Lehrer als auch Schüler, und auch die Eltern, die Ausstrahlung Steiners – „seine jugendliche Vitalität, seine Risikobereitschaft, seine Ich-Stärke, kombiniert mit einem religiös fundierten, optimistischen Weltverständnis“ – zu schätzen wussten.
Was veränderte sich noch? Die pure Größe der Schule. Zu Beginn der Amtszeit Steiners besuchten das AKG 458 Schülerinnen und Schüler. Am Ende seiner Amtszeit, 1979, waren es 1773 Schülerinnen und Schüler. Damit hatte das AKG beinahe seine maximale Größe von 1841 Schülerinnen und Schülern erreicht. Nach 1981 wurde die Schule, von gewissen Schwankungen abgesehen, wieder kleiner.
Was heißt „Schülerinnen und Schüler“? 1961 hatten gerade einmal 2 (in Worten: zwei!) Mädchen das AKG besucht. Unter Kozelka waren Mädchen nur dann zugelassen worden, wenn sie die alten Sprachen, Latein und Griechisch, lernen wollten. Bernhard Steiner hieß Mädchen grundsätzlich willkommen, so dass der Mädchenanteil kontinuierlich stieg. 1979 besuchten 580 Mädchen das AKG; damit bildeten sie ein knappes Drittel der Schülerschaft.
Umzug in die Wilhelmstraße
Und das Gebäude? Auch in dieser Hinsicht veränderte sich das AKG unter Steiner entscheidend. 1966 zog das AKG aus seinem angestammten Gebäude in der Darmstädter Straße – heute Kirchberg-Schule – aus und in das Seminargebäude an der Wilhelmstraße ein, wo damals Goethe-Gymnasium und Aufbaugymnasium untergebracht waren. Während für diese Schulen später Neubauten errichtet wurden, blieb das AKG in einem – seit den 1970er Jahren mit Anbauten versehenen – „alten“ Gebäude, das seinem Namen eine architektonische Rechtfertigung gab.
Welche Bedeutung hatten die alten Sprachen? Leo Kozelka versuchte nach dem zweiten Weltkrieg – in gewisser Weise verzweifelt –, den unter den Nationalsozialisten vollzogenen Umbau des Gymnasiums zu einer Oberschule rückgängig zu machen. „Oberschule“ bedeutete Abkehr vom altsprachlichen Schwerpunkt, Hinwendung zu dem, was man bis dahin eigentlich mit dem Begriff „Realgymnasium“ verband: Moderne Fremdsprachen, Naturwissenschaften sollten stärker in den Mittelpunkt rücken. Bei den Nazis kam da noch die ideologische Unterweisung im Sinne der rassistisch definierten Volksgemeinschaft hinzu. Tatsächlich ist es Kozelka nach 1945 nicht gelungen, die „Oberschule“ in ein rein altsprachliches Gymnasium zurückzuverwandeln. Eine größere Nachfrage bestand nach dem neusprachlichen Zweig. Steiner sprach 1979 selbst davon, dass unter seiner Leitung das AKG auch innere Veränderungen durchgemacht habe. Er sagte, „dass wir nicht mehr ein humanistisches Gymnasium sind“. Latein und Griechisch wurden zwar weiterhin angeboten, waren aber nur noch ein Angebot unter anderen.
Skeptisch gegenüber Schulreformen
Bernhard Steiner war durch und durch ein Schulmensch, einerseits konzeptionell denkender Direktor, andererseits Pädagoge, der gerne unterrichtete – im Interview sagte er: „mehr als ich muß“. Darüber hinaus war er als gewählter Sprecher der hessischen Direktoren in der Schulpolitik aktiv. Während er gegenüber der um 1980 heiß diskutierten Förderstufe eher resignativ auftrat – im Interview bedauerte er nur, dass sie an Grundschule oder Gesamtschule und nicht ans Gymnasium angebunden werden sollte – , so war er doch ein entschiedener Gegner der von der hessischen Schulpolitik verordneten Neuerungen. Czinczel schreibt, Steiner habe „Gesamtschule, Rahmenrichtlinien, Reform der Oberstufe (…) nur als Bedrohung“ verstanden. Damit stand Steiner übrigens in einer langen Tradition. Alle Schulleiter seit der Novemberrevolution von 1918 empfanden die vom Staat ausgehenden Reformen des Schulwesens als Bedrohung. Insofern war das AKG zumindest in seiner Leitung immer eine konservative Schule.
Bernhard Steiner war kein langer Ruhestand vergönnt. Er starb ein halbes Jahr nach seiner Pensionierung am 22. Februar 1980. (Matthias Gröbel)
Siehe auch „Tafel 10: Das Gymnasium in der Ära Steiner“ der Ausstellung „325 Jahre AKG“!